Die Erfahrung einer jungen Frau, die schließlich Yogalehrerin wurde.

Autor: Yogalehrerin Alexandra Shtukaturova

Neben dem Mythos, dass Yogis religiöse Fanatiker sind, wird in der modernen Gesellschaft auch eine andere Legende verbreitet, dass Yogis angeblich so beweglich und plastisch seien, dass sie sich buchstäblich in Knoten drehen können und wenn du das Bein morgens zwischen Zähne putzen und Teetrinken hinter den Kopf nicht einfach und elegant werfen kannst, dann bist du kein richtiger Yogi.

Freunde, beim Yoga geht es nicht darum die Beine hinter den Kopf zu werfen und auf dem Kopf stehen zu können, beim Yoga geht es um das, was im Kopf geschieht.

Ich erzähle aus meiner eigenen Erfahrung. Als Yoga in mein Leben kam, und ich mich begann mit meiner inneren Entwicklung zu beschäftigen, war mein Körper, wie aus Holz. Ich konnte kaum eine der Asanas ausführen. Ich glaubte nicht daran irgendwann Chaturanga Dandasana oder Eka Bhuja Swastikasana machen zu können, geschweige denn die Bakasana. Aber nach und nach interessierte ich mich für gesunde Ernährung, für eine gesunde Lebensweise, für die Philosophie der Akzeptanz und Mitgefühl und vor allem dafür, der Gesellschaft zu dienen. Millimeter für Millimeter, Übung für Übung, Tag für Tag bewegte ich mich in kleinen Schritten vorwärts. Bereits weniger als nach einem Jahr, habe ich diese „erschreckenden“ Asanas, eine nach der anderen auszuführen gelernt. Heute bin ich so froh, dass vor mir immer noch so ein langer Weg der Arbeit mit meinem Körper liegt!

Chaturanga Dandasana

 

 

Eka Bhuja Swastikasana

 

 

Bakasana

Warum eigentlich? Schließlich werden viele sagen, was mache ich in Yoga mit meinem unbiegsamen Körper? Es gibt ja genug Bilder im Internet von denen, die sich in unglaubliche Positionen drehen können und gleichzeitig mit Leichtigkeit in die Kamera dabei lächeln. Denkt aber daran, liebe Freunde, der unbewegliche Körper ist ein großer Segen für denjenigen, der den Weg des Yoga und geistiger Selbstverbesserung betritt. Lasst uns erkennen, warum das so ist.

Also, was ist Yoga eigentlich? Yoga sind keine physische Übungen. Yoga ist eine Weltanschauung, eine Art zu denken, ein bestimmter Zustand des Bewusstseins, aus dem genau diese Gedanken stammen, verziert mit unseren Wünschen und Vorurteilen. Yoga aus der alten Sprache Sanskrit wird, unter anderem, als „Verbindung“ übersetzt. Verbindung mit was? Genau hier liegt die Antwort. Die Verbindung unseres Geistes mit unserem Körper. Wenn man darüber nachdenkt, wie soll ein moderner Mensch, der durch eine Vielzahl von Informationen von außen bombardiert wird, seinen eigenen Verstand kontrollieren? Immerhin lebt ein solcher Mensch in einer völlig illusorischen Realität.

Einer der modernsten russischen Schriftsteller hat ein Werk, in dem sehr deutlich das Wesen des modernen Lebens beschrieben wird. In diesem Roman leben die Menschen in Räumlichkeiten, verbunden durch Korridore und Aufzüge zu allen Ebenen und das, was eine Welt zu sein scheint, wie Straßen, Häuser und die Natur, wird durch ein künstlich erstelltes Bild in 3D gezeigt, das man in jedem Fenster als Aussicht betrachtet. Bist du reich und findet dein Dinner in einer Luxus-Einrichtung statt und du siehst zum Beispiel ein Ausblick von London aus dem Fenster. Wenn du aber nicht genug Geld hast, „lebst“ du in den Slums, mit dem entsprechenden Ausblick. Im Buch gibt es einen sehr wichtigen Moment, wenn der Ausblick aus den Fenstern der Wohnung von der Hauptfigur geändert wird, z. B. von London zum einfachen Ort. Das ist dort sehr einfach, hast du kein, oder nicht genug Geld, wird dein Ausblick aus dem Fenster geändert. Das gleiche Prinzip funktioniert auch in der modernen Welt. Wir glauben, dass wir selbst entscheiden, wie wir auf ein bestimmtes Ereignis reagieren; welche Stadt wir für das Leben auswählen; welche Musik wir hören. Aber in der Tat wird für uns nur eine Illusion der Realität aus Informationslärm erzeugt. Wir denken, dass unsere Wahl grenzenlos ist, aber in der Tat wurde es uns erlaubt z. B. den Beruf aus den drei heutzutage angesehensten Berufen zu wählen. Genauso ist es mit Filmen, Musik und Literatur. Hier haben nicht wir die Situation unter Kontrolle, sondern die Situation kontrolliert uns. Nicht wir besitzen den Geist, sondern der Geist besitzt uns.

Benjamin Franklin ist einer der Gründer der Vereinigten Staaten, und daher der Mensch, der versteht, wie man die Menschen regiert, sagte: „Einige denken, dass sie das Vergnügen kaufen, während sie sich selbst dem Vergnügen verkaufen.“ Daher könnt ihr euch vorstellen, wie der moderne Mensch den eigenen Verstand nur durch die Arbeit mit demselben steuern kann? Es ist praktisch unmöglich, weil der Verstand einer solchen Person zu verunreinigt ist. Der Mensch kann nicht verstehen, wo Wahrheit und wo Lüge ist. Es ist nicht möglich, die Ideologie zu erarbeiten, um den Verstand zu kontrollieren. Genau hier kommt die Hilfe von unserem Körper.

Wie wir bereits erwähnt hatten, ist Yoga eine Verbindung. Das heißt, durch den Körper können wir unseren Verstand beeinflussen. Was macht unseren Körper biegsam? Die Ausleitung von Toxinen und Verschmutzungen auf physischer Ebene und die Reinigung von grober und unreiner, gieriger und unwissender Energie auf geistiger Ebene. Dementsprechend je sauberer unser Körper ist, desto reiner und stabiler ist unser Geist. Er ist weniger anfällig für Unklarheiten. Wir beginnen nun mehr oder weniger deutlich zu unterscheiden: was ist was. Wir hören auf, blind den uns auferlegten Willen und Anleitungen zu folgen, dass schwarz heute schwarz ist, aber morgen wird aus schwarz, weiß. Wir sind in der Lage schwarz immer als schwarz zu sehen, und hell immer als hell. Wenn unser Geist klarer wird, wird er flexibler. Was gibt die Flexibilität des Geistes? Vor allem die Klarheit darüber, was um uns herum und in uns geschieht. Das Bewusstsein unserer selbst und der anderen. Die Klarheit und das Bewusstsein führt zum Mitgefühl. Es ist aber sehr wichtig, die Körperflexibilität, die sich dank der gesunden Lebensweise und dem richtigen Umgang mit der Welt entwickelt, nicht mit der Flexibilität, die mit der Hilfe von Sport erreicht werden kann zu vergleichen.

In unserer Welt ist nichts linear. Sogar die Zeit wird nur in unserer Weltwahrnehmung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgeteilt. Sehr oft haben Menschen durch Ballettunterricht, Gymnastik, etc. seit ihrer Kindheit einen flexiblen Körper, aber einen Geist, der dem Verhaltensmuster der modernen Gesellschaft hörig ist und im feinstofflichen Körper große Energielöcher. Warum? Weil sie im Laufe der Jahre unter großer Askese gelitten haben, um den Körper flexibel und biegsam zu machen, aber keine altruistischen Ziele verfolgt, um die Welt zu verbessern. Sie verfolgten nur ihre eigenen, nämlich, bessere Ergebnisse im Sport zu erzielen, um die Ambitionen und das Ego zu befriedigen. In der Regel, wenn durch die Askese gespeicherte Lebensenergie in unserem Körper nicht richtig fließen kann und als Folge über die höheren Chakren nicht realisiert wird, beginnt die Lebensenergie sich in den unteren Chakren zu sammeln und diese „aufzublasen“, was zu einem Energieverlust an dieser Stelle und folglich zu einem Energieloch führt. Die Energielöcher ermöglichen die beeindruckende, aber uneffektive Biegsamkeit des Körpers, da sie sehr groß sind und die Lebensenergie dadurch frei rausfließen kann.

In den meisten Fällen, wenn die Menschen beginnen, Yoga zu praktizieren, mit der Lebensenergie und dem Geist zu arbeiten, wird der Körper steif, weil die Energielöcher nach und nach verschwinden. Die Lebensenergie, die vorher durch die Energielöcher raus floss, beginnt sich nun auf den ganzen Körper und vor allem auf die Beine durch Unbeweglichkeit auszuwirken. Natürlich meine ich Yoga als geistige Selbstentwicklung und nicht die gedankenlose Ausübung von Asanas, was sich von den verschiedenen Sportarten, bei denen man einen biegsamen Körper braucht, wie Akrobatik, oder Ballett, nicht groß unterschiedet.

Nun genauer darüber, wie die Arbeit mit dem Körper unseren Verstand verändert und ihn kontrollierbar macht. Die Arbeit mit dem Körper ist gleichzeitig eine Arbeit mit unseren feinstofflichen Energien, vor allem mit dem Pranakörper (Pranamayakosha). Prana ist eine universelle kosmische Energie, die uns und die Welt um uns herum füllt. Nach der Reinigung der Energiekanäle, leiten wir die Lebensenergie zu den höheren Chakren und gewinnen dabei mehr Verständnis, Mitgefühl, Hellsichtigkeit und Hellhörigkeit. Ihr fragt euch womöglich, wie man die Energiekanäle reinigt? Tatsache ist, dass Prana, die lebensspendende Kraft, die sich im menschlichen Körper befindet, seinen Antagonisten, das Apana, hat. Apana Vayu (der vollständige Name in Sanskrit) ist die raue Energie des menschlichen Körpers. Sie befindet sich im Körper unterhalb des Bauchnabels, im Darmbereich, den Genitalien und Beinen. Sie steht somit mit den Ausscheidungsorganen und dem Fortpflanzungssystem im Zusammenhang. Das Apana Vayu zieht unser Bewusstsein runter und stimuliert unsere niederen Zuneigungen und Tendenzen, wie die Abhängigkeit von Nahrung und Vergnügen, oder das sexuelle Verlangen und hindert damit die Energie, bzw. das Prana höher zu steigen.

Leider fließt bei den meisten Menschen in der heutigen Zeit (Kali Yuga), wegen ihres ausschweifenden Lebesstils (zu viel Sex, zu viel Vergnügen und Spaß; viele Leben in Angst und Unsicherheit, haben kein Selbstbewusstsein, ärgern sich viel), die ganze Energie nur durch die unteren Energiezentren, wie Muladhara- und Svadhisthanachakra heraus. Diese Lebensweise ist uns zumeist durch Massenmedien als Mode auferzwungen. Wir sollen als Verbraucher und in getäuschter Ansicht unseres Selbst, als die Spitze der Evolution, in ständiger Verblendung von bestimmten Systemen als Herde gehalten werden und unsere Lebensenergie an diese Systeme verlieren, die nur davon existieren.

Also erhöht sich dadurch das Apana Vayu und beschwert somit unser Bewusstsein. Bildlich kann man sich das als einen Menschen mit zwei zu seinen Füßen befestigten, kaum zu hebenden Gewichten vorstellen. Und so in Fessel, auf der energetischen Ebene, ziehen wir durch das Leben.

Nun lässt es sich darüber nachdenken und überlegen, wo die meisten Probleme zu Beginn der Praxis des Asanas in Yoga auftreten? Natürlich in den Beinen. Die Muskeln der Oberschenkel sind unflexibel und starr, der Beckenbereich ist verzerrt und lässt sich nicht öffnen, nur die wenigsten Menschen können wenigstens eine meditative Haltung ausführen. Ein Maximum, was wir tun können, ist mit gekreuzten Beinen im Schneidersitz zu sitzen, was, nebenbei bemerkt, nicht zur meditativen Haltung (Asana) gehört. Nach und nach durch das Trainieren unserer Beine und Füße, durch die Befreiung des Beckenbereiches, durch die Dehnung der Muskeln, beginnen wir unser Apana Vayu zu reduzieren. Natürlich bleibt diese Energie im menschlichen Körper, das ist wichtig! Aber wir können sie von negativ auf positiv umstellen, in dem wir die Energie nach oben steigen lassen. Wird die Apana Vayu reduziert, wird dementsprechend unser Prana erhöht, der energetische Körper wird ausgerichtet und wir beginnen buchstäblich diese Welt zu fühlen. Nicht auf der Ebene des Verstandes, sondern auf der Energieebene. Hier erkennt unser Verstand plötzlich, dass er nicht alles weiß und erklären kann und beginnt auf das Prana zu hören, das offensichtlich mehr Autorität hat. Der Verstand beruhigt sich. Der Verstand erweitert sich. Der Verstand trennt sich von seinen eigenen Beschränkungen.

Nun stellt euch vor, dass ihr kein solches Werkzeug habt, euren Verstand zu beeinflussen, wie den Körper und wir müssen nur durch unseren Verstand den Verstand erreichen. Das Prana hilft nicht und der Verstand kennt nichts, was cleverer wäre als er selbst. Weil der Verstand so gerissen und einfallsreich ist, wird er die Gefahr merken, wenn wir beschließen, ihn zu besänftigen und wird uns schließlich in den unwegsamen Dschungel führen. Hier kommen die sogenannten Demagogen, die versuchen, alles nur durch Logik zu erklären. Sie versuchen mit dem blinden Eifer das Unbegrenzte in ihre eigenen Verständnisgrenzen zu quetschen. Sie nutzen die Möglichkeit unseres Verstandes zur Analyse und ziehen die Schlussfolgerungen nicht für die Entwicklung des Sinnes, sondern nur für die Entwicklung des Verstandes und der fehlerhaften Logik, die für solche, sich nicht entwickelnde Personen das einzige Mittel ist. Wenn sie dann mit dem Verstand etwas nicht verstehen, oder sich nicht erklären können, wird der Gedankeninhalt nicht mehr berücksichtigt, wie das Material, das den Test nicht bestanden hat. Tatsächlich kann Entwicklung solcher Menschen stagnieren, denn die Welt ist voll von Dingen, die nicht unter der Kontrolle des Verstandes sind. Die Leugnung dieser Tatsache führt zum vollständigen Verlust der Harmonie im eigenen Bewusstsein; man füllt sich nicht mehr als Teil der Lebensgesetze im Universum.

Also hier kommen wir nun zum Fazit: das Bein hinter dem Kopf ist kein Yoga, das Bein hinter dem Kopf ist nichts weiter, als nur ein Nebeneffekt von Yoga. Jahr für Jahr praktizieren die Menschen Yoga und arbeiten mit dem Körper, dennoch können die gemeisterten Asanas den gewünschten Effekt der Arbeit mit dem Geist immer noch nicht geben. Nur deswegen wurden solche Positionen des Körpers (Asanas) erfunden, in denen der fortgeschrittene Praktizierende die Energiearbeit im Körper fühlen kann. Wenn wir die Bilder von berühmten Praktikern sehen, fragen wir uns, wie und vor allem warum, es möglich ist, sich in so eine verdrehte Position zu bringen. Der Zweck des Ganzen ist ein einziger – seinen Körper vorzubereiten in der Padmasana (Lotussitz) bewegungslos mehrere Stunden sitzen zu können und den Rücken dabei gerade zu halten. Erst dann ist es möglich, auf die universelle Ebene des Bewusstseins hochzukommen, die weit über unserer kleinen individuellen Welt liegt.

Sukhasana

 

 

Baddha Padmasana (verbundener Lotussitz)

Formulieren wir nun die Essenz des Artikels. „Wenn Sie einen schlecht biegsamen und unflexiblen Körper haben, dürfen Sie auf gar keinem Fall die Ausübung von Asanas vernachlässigen. Ihr geistiger Fortschritt wird vielleicht sogar schneller kommen, als bei Menschen mit flexiblen Körpern und als Folge dessen wird Ihre Erkenntnis schärfer und klarer sein, Ihr Verstand wird Ihnen leichter gehorchen.“

Den Menschen mit einem flexiblen Körper und einem unflexiblen Geist (wie bei vielen von uns, den modernen Verbrauchern), die sich entscheiden, Yoga zu praktizieren, wünsche ich viel Geduld und Standhaftigkeit. Es ist möglich, dass Ihr Weg vielleicht schwieriger wird, aber das Ergebnis stabiler.

Liebe Freunde, übt regelmäßig und mit dem guten Glauben Yoga, unabhängig von eurer Lage/Bestimmung. Denkt daran, jeder hat seinen eigenen Weg, den er geht und es macht keinen Sinn, den Weg eines anderen zu gehen.

Abschließen möchte ich mit dem Zitat von Swami Satyananda:

Unabhängig davon, was in der Außenwelt geschieht – Regen, Hagel oder Sonnenschein – soll Ihre Praxis von Yoga regelmäßig durchgeführt werden. Sind Sie traurig über materielle Verluste oder erfreut über wertvolles Gut, gibt es in Ihrer Praxis sichtbare Fortschritte oder nicht – Sie sollten sich anstrengen weiter zu üben“.

Mit großer Dankbarkeit an alle Meister der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,  die uns das Wissen über Selbstverbesserung und Yoga hinterlassen haben! Om!