Bildinterpretation eines Heiligenbildnisses

Die grüne Tara ist wohl der bekannteste weibliche Buddha und Bodhisattva. Besondere Bedeutung und Verehrung erfährt sie im tibetischen Buddhismus, wurde aber auch schon im indischen Mahayana hoch geschätzt und könnte ihren Ursprung in einer indischen Sternengöttin haben. Eine Bedeutung des Namens Tara ist „der Stern“. Als Göttin könnte sie auch eine Verkörperung der bekannten Göttin Shakti sein. Sowohl in der hinduistischen Mythologie als auch im Buddhismus gibt es viele Legenden, die von Tara erzählen, und sie ist in den verschiedensten Erscheinungsformen bekannt.

Ich möchte mich bei meiner Bildanalyse auf eine gängige buddhistische Darstellung von ihr beziehen und daher besonders auf ihre Rolle im Buddhismus eingehen.

Darstellung der grünen Tara

Als Buddha wird Tara gewöhnlich wie folgt dargestellt: Sie sitzt auf einem Kissen, auf einer Lotusblume, die aus einem großen Gewässer wächst. Über ihr, so blau wie das Wasser, erstreckt sich der weite Himmel, oft mit Sonne und Mond. Eines ihrer Beine ist im Lotussitz, das andere aufgestellt. Mit einer Hand oder beiden zeigt sie ein Mudra und hält weitere Lotusblumen in den Händen. Ihre Erscheinung ist grün, sie ist reich geschmückt, blankbusig und trägt etwas auf dem Scheitel.

Die Symbolik

Um ihrer Bedeutung und Symbolik auf die Spur zu kommen, möchte ich nun einige Stilmittel und Elemente des Bildes genauer betrachten und interpretieren. Zuerst fällt natürlich ihre grüne Farbe auf, die sie sofort mit dem Herz-Chakra, dem ebenfalls grünes Licht zugeordnet wird, in Verbindung bringt. Es liegt nahe, dass sie uns besonders zu aktivem Mitgefühl und bedingungsloser Liebe auffordert. Wir sollen lernen, unser Herz allem unvoreingenommen zu öffnen. Eine Sadhana an Tara wird wie folgt beschrieben: “Tara kommt über den Scheitel unseres Hauptes, löst sich in grünes Licht auf, das in uns sinkt und mit unserem Herz-Geist in unserem Herz-Chakra verschmilzt.” (Seite 41, Zeilen 28 bis 31).

Die Verkörperung der Glückseligkeit

Der Gesichtsausdruck der grünen Tara ist ruhig, gelassen und freundlich. Sie hat ein leichtes Lächeln auf den Lippen und geöffnete Augen. Dieser Ausdruck zeigt, dass sie als Buddha eine Verkörperung von Glückseligkeit und Leerheit ist.

Sowohl ihr freundliches Aussehen als auch ihre nackten Brüste drücken den Aspekt der Mütterlichkeit aus. Wie eine Mutter ihre Kinder liebt, liebt Tara alle Menschen bedingungslos und unabhängig von ihren guten oder schlechten Taten. Sie wünscht allen Wesen Glück, einfach weil sie existieren, und fordert uns dazu auf, es ihr nachzutun.

Tara sitzt auf einem Lotus, der als Symbol für die Entschlossenheit interpretiert wird, frei vom Daseinskreislauf zu sein (Seite 241, Zeilen 5 bis 8). Denn der Lotus wächst aus dem Schlamm am Grunde eines Teiches und wird zu einer unbefleckten Blume. So sollen wir durch unsere Praxis, beginnend im Schlamm des Kreislaufs von schlechtem Karma und Leid, wie der Lotus zu einem befreiten Wesen heranwachsen.

Die grüne Tara auf dem Mondkissen

Das Mondkissen, flach und weiß, auf dem Tara sitzt, soll die dem Gemeinwohl gewidmete Absicht symbolisieren, ein Buddha zu werden. Das Mondlicht repräsentiert den weiblichen Aspekt; es ist kühl, klar und beruhigend. So soll unser Mitgefühl gegenüber allen Wesen unseren Geist klar und ruhig machen, damit unsere Gefühle von Zorn und Entfremdung abkühlen können.

Tara selbst wird als Symbol der Weisheit gesehen, der Weisheit, dass alles frei von inhärenter Existenz ist. Sie fordert uns auf, die Leerheit in allem zu erkennen.

Der See, aus dem Taras Lotusblüte hervorwächst, stellt mythologisch gesehen wahrscheinlich den Tränensee von Chenrezig oder Buddha Avalokiteshvara dar. Dieser weinte um das Leid und die Schmerzen der Welt, sodass seine Tränen einen See bildeten, aus dem die Lotusblume hervorging, auf der Tara saß.

Die Beinhaltung

Eines der wohl auffälligsten Merkmale der grünen Tara ist ihre Beinhaltung. Ein Bein, meist das linke, verweilt im Lotussitz, was auf ihre Buddha-Natur und eine vollkommene Selbstkontrolle hinweist. Das andere Bein, meist das rechte, zeigt ihre Tatbereitschaft, aus Mitgefühl den Menschen zur Hilfe zu kommen.

Eine Hand hält Tara im Varada-Mudra, das auch von vielen anderen Buddha-Abbildungen bekannt ist. Dieses Mudra symbolisiert Segen und Mitgefühl. Es steht auch dafür, dass der dargestellte Buddha den Menschen den Weg zur Erleuchtung zeigen will. Das Mudra wird dem Herzchakra zugeordnet, mit dem Tara mehrfach in Verbindung steht.

Das Göttliche und Menschliche

Natürlich gibt es noch viele weitere Symbole in den Abbildungen der Grünen Tara, die man interpretieren könnte und die sicherlich eine oder mehrere Bedeutungen tragen. Ebenso gibt es Unterschiede in den Darstellungen. Klar wird auf jeden Fall, dass Tara eine mitfühlende und liebevolle Natur hat. Ihre Besonderheit ist ihre Weiblichkeit, mit der sie die Menschen auf eine besonders tiefe und vertraute Art anzusprechen scheint. Dies bestätigt auch ihre Beliebtheit und die besondere Verehrung, die sie erfährt. Auch wenn ein Buddha natürlich frei von inhärenter Existenz ist, hat Tara die Möglichkeit gefunden, durch ihren Formkörper einen neuen Zugang zu den Menschen zu schaffen, sie zu erreichen und ihre vielfältigen Botschaften an sie zu übermitteln.

Taras Botschaften und ihre Bedeutung für die spirituelle Praxis sollten einen eigenen Aufsatz füllen, doch ich denke, dass einige Symboliken in ihrer Darstellung nun klarer geworden sind.

von Mariya
Dieser Blogbeitrag wurde im Rahmen der Yogalehrerausbildung 200 h bei der Yogaschule Minz verfasst. 

Quellen:

  • Chodron, Thubten (2006). Tara die Befreierin, Hommage für eine Erwachte. München: Diamant Verlag.
  • Tara – Yogawiki